Ein informativer Text des Gemeinschaftsgarten Prachttomate in Neukölln zur aktuellen Situation und warum Baugruppen keine Lösung sind:
In der PRACHTTOMATE wird seit 2011 gemeinschaftlich gegärtnert. Wir verstehen uns als einen Lern- & Veranstaltungsort sowie sozialen Treffpunkt im Kiez. Als selbstorganisierter und nicht-kommerzieller Freiraum befinden wir uns im Kampf für eine Stadt von Unten im renditeträchtigen Nordneukölln.
Juni 2020
Hier Wird verdrängt!
Im November 2017 mussten wir die Hälfte unseres Gartens räumen. Auf der seitdem nur selten genutzten Brache der Bornsdorfer Str. 11 wird nun ein Fünfgeschosser hingeschissen, mit exklusiven Eigentumswohnungen für Leute, die sich das leisten können. Für Leute wie die Baugruppe Bo11. Urbansky-Architekten, die das Baugruppenprojekt im „atemberaubenden Szene-Kiez“ zentral entwickeln, steuern und verantworten, feuern mit diesem betongoldenen Eigenheimbau die Dynamik der Entwicklung von Grundstücks- und Mietpreisen in unserem Kiez und Bezirk weiter an. Dabei sind wir hier schon genug bedient: Unsere miesbezahlten und befristeten Jobs oder mageren Hartz-4-Zuwendungen und Renten reichen nicht, um die völlig überteuerten Mieten stemmen zu können. Zwangsumzüge, Räumungen und Verdrängung sind die Folgen, hervorgerufen durch die Verwertung von Boden und Immobilien. Schließlich geht’s den beiden Urbansky-Chefs, Marcus Schröger und Malte Schröder, genau darum:
Um den Profit, der alle Mittel heiligt.
Ein Blick auf die Website [1] der Schnösel offenbart weitere tolle Projekte: Penthouses auf der Sonnenallee, Projekte im „neuen Szenekiez Wedding“. So werden gewachsene Kiezstrukturen zerstört. Es sind auch diese vermeintlich kleinen Akteur*innen, die ihren Beitrag zur Stadt der Reichen liefern und den Ausverkauf vorantreiben.
Damit sind sie hier im Kiez nicht die Einzigen [2]. Ende 2019 wurde mit dem Bau von Eigentumswohnungen auf der Kienitzer Straße 3 begonnen. Ein handtuchgroßes Grundstück für eine knappe Million €, Eigentumswohnungen für 2.850.000 €. Auch hier eine Baugruppe.
Am Mittelweg 8: 586 m2 Grundstück für 2.350.000 €, ein Haus mit 10 Wohnungen ist geplant, nochmal 4.585.000 €. Wer sich das leisten kann? Eine Baugruppe. Beide haben dabei auch einen integrierten Gemeinschaftsgarten im Sinn. Gemeinschaft für den Kiez oder für die betuchten Bewohner*innen? Eine weitere baut an der Donaustraße 2. Schon längst bezogen ist die Richardstraße 23 sowie die Braunschweigerstraße 41 – weiteres Eigentum von Baugruppen und ihren Mitgliedern. Weiteres Öl ins Feuer des profitgetriebenen Aufwertungsstrudels.
Baugruppen – Flucht ins Eigentum
Baugruppen fantasieren sich gerne als Wohltäter*innen für den Kiez, da sie keine „bösen“ Investor*innen zum Zuge kommen lassen würden. Astreines Marketingsprech. In vielen Fällen sind das auch keine selbstorganisierten, langjährigen Freundeskreise, sondern von Architekturbüros wie den Urbanskys zusammengewürfelte Gutbetuchte. Doch ob anonyme Gruppe, Freundeskreis, oder Großinvestor*innenprojekt – für uns, die wir aus den Nachbarschaften rausgedrängt werden, macht das keinen Unterschied. Der Effekt ist derselbe. Einkommen und Vermögen bestimmen, wer wo wohnen darf. Baugruppen bestimmen, wer wo wohnen darf. Und die Politik hantiert weiterhin mit Programmen, die als Stadtentwicklungsziel die Erhaltung der Struktur der Bewohnerschaft vor sich hertragen.
Es fehlt an günstigen und sicheren Wohnungen, sagen auch manche Baugruppen. Die neoliberal gestimmte Flucht ins eigene Betongoldglück und die private Wertanlage erscheint den Mitgliedern als alternativlos und rational, bleibt aber ein individueller, ans Einkommen geknüpfter Lösungsansatz. Damit wenden sie sich aber auch gegen Perspektiven, die für soziale und potentiell transformative Formen des Wohnens eintreten. Baugruppenmitglieder können ihre Interessen adäquat und zielführend artikulieren, beispielsweise gegenüber Vertreter*innen der Bezirksverwaltung. In unserem Fall sollte das in einem pseudopartizipativen Deal gipfeln:
Im Austausch für eine Art Gartennutzungsrecht im Baugruppenhinterhof wollte Baustadtrat Biedermann (Die Grünen) den Bau eines weiteren Baugruppenhauses im hinteren Teil des Grundstücks einfädeln. Wir sollten also gefühlt den Privatgarten gießen, damit die Baugruppe mehr Eigentumswohnungen hochziehen kann. Nicht mit uns! Wir lehnten ab. Nichtsdestotrotz wirbt Urbansky-Architekten online unverfroren weiter mit einer angeblich bestehenden „Integration eines lokalen Gartenprojekts“ und der Vorfreude „auf die neuen Nachbarn“ [3].
Mit solchen Versuchen der Vereinnahmung haben wir es nicht zum ersten Mal zu tun. In die gefräßige Verwertungsmaschine wird alles eingespeist, was profitabel erscheint. Auch nichtkommerzielle Orte wie Gemeinschaftsgärten sind vor den Vermarktungskonzepten der Immobilienbranche alles andere als sicher. Wir wissen um unsere im Aufwertungsgeschehen systembedingt ambivalente Rolle. Uns ist es wichtig, diesen Angriffen auf unsere Räume entgegenzutreten, Protest zu artikulieren und Widerstand aufzubauen.
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