Sprechen wir doch mal von Armut und Obdachlosigkeit und einer zynischen Politik in Neukoelln. Ein sehr lesenswerter Kommentar dazu ist heute auf dem Blog der Kiezversammlung44 erschienen ist, der hier nachveröffentlicht wird:
Quelle: Sprechen wir von Armut! .
Siehe auch den Artikel vom Mieterecho Online vom 14.11.2017 Die Armut und nicht die Armen bekämpfen
Sprechen wir von Armut! – Ein Kommentar zu Obdachlosigkeit
»Unsere Grünanlagen müssen wieder für die Allgemeinheit nutzbar sein!«, zitierte die Berliner Zeitung die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) vor einem Monat. Die Sozialdemokratin unterstrich mit diesem Statement die Räumung eines Zeltlagers von Obdachlosen am Neuköllner Hertzbergplatz Mitte Oktober. In einem anderen Artikel titelte die Morgenpost : »Obdachlose in Neukölln werden gezielt eingeschleust«. Demzufolge sollen Geldübergaben beobachtet worden sein »bei denen mehrere Obdachlose ihre erbettelten Tageseinnahmen wieder abliefern mussten«. Die Wahl des Ausdrucks „Geldübergabe“ rückt ins Licht einer Komplizenschaft, was eigentlich als Zwangsverhältnis zwischen Bettelnden und denen, die ihre Tageseinnahmen einstreichen, bezeichnet werden müsste. Und obwohl die Zeitung auch die Ausbeutung der Hilflosigkeit der Obdachlosen am Hertzbergplatz durch die Schleuser*innen ansprach, haftet der Berichterstattung doch irgendwie ein übler Geschmack an. Es wirkt so, als stecken Ausnutzer*innen und Ausgenutzte unter einer Decke. Der Schluss ist naheliegend: Wenn der Bezirk Neukölln gegen Obdachlose am Hertzbergplatz vorgeht, geht er gegen kriminelle Strukturen vor, und nicht etwa gegen Arme. Der Artikel der Morgenpost trägt über der Überschrift dann auch die Dachzeile »Organisierte Kriminalität«, und zwischen den Absätzen steht ein Werbebanner für die Morgenpost-Serie »Berlins Orte höchster Kriminalität.«
»Neukölln schickt Obdachlose aus Osteuropa mit Bussen zurück« titelte die Morgenpost in einem anderen Artikel. »Neukölln schickt Osteuropäer heim« titelte die Berliner Zeitung im bereits verlinkten Artikel. Die Obdachlosen aus Osteuropa, die Osteuropäer – das sind „die“, die in Giffeys „uns“ nicht mitgemeint sind, die „Anderen“, die von woanders hergekommen sind, um bei „uns“ zu betteln und in »unseren Grünanlagen« zu schlafen. Auch ihre Armut ist folglich „eine andere“, eine, die von woanders hergekommen ist, und „uns“ nicht betrifft. Also wird sie „zurück geschickt“, oder, zynisch, »heim geschickt«. Wohin? Unklar. Egal – zurück nach „Osteuropa“, aus dieser Perspektive in die Heimat der Armut. Es wirkt so, als solle mit der Gefahr der eingeschleusten Ausländer, zugleich auch die Gefahr einer eingeschleusten ausländischen Armut abgewert werden. Müssen Arme also einen deutschen Pass haben, um in Deutschland als solche anerkannt zu werden? Gibt es niedere und höhere Klassen von Armen, je nach Staatsangehörigkeit? Und wie ist das mit der Armut in ihren Heimatländern: muss es auf dem kapitalistischen Weltmarkt, wenn manche Länder reich werden, nicht auch andere geben, die dann arm werden? Stellt in der Konkurrenz der Wirtschaftsstandorte „unser“ Reichtum nicht die Armut in anderen Ländern her? An solchen Fragen nach den gesellschaftlichen Bedingungen von Armut hat aber weder die Presse, noch die Realpolitik in Neukölln ein Interesse. Beide öffentliche Gewalten arbeiten auf ihre Weise mit dem verklärten, vagen Begriff einer leicht kriminalisierbaren, „ausländischen“ Armut, die in Deutschland kaum Chancen auf staatliche Fürsorge hat.
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